Skizzen | Anmerkungen zum Projekt

 

Ziel der Projektarbeit, die eine Komposition aus dem Jahr 1956 wie Luigi Nono’s Il canto sospeso zur Basis wählt, muß sein, die Interpretation des Werkes so anzubieten, dass der Zeitbezug damals in seiner Bedeutung für uns heute deutlich wird.

 

Musikkritiker, Interpreten und Besucher von Konzerten neigen dazu, die Komposition als ein unveränderliches Konstrukt anzusehen – wie eine Skulptur oder ein Gemälde. Die Partitur des Komponisten ist aber selber ein Spiegel in ihrer Zeit und ein Fenster für den Blick des Komponisten auf seine Zeit. Kompositionen sind nicht für das Museum und für das Archiv geschrieben. So fordert die Arbeit an dem Projekt heraus, den Blick von damals mit unserer Neugierde zu verbinden, wenn wir uns mit dem Werk auseinandersetzen – das ist ein offener und lebendiger Prozeß des Verständnisses, was uns Musik und Künste sagen können.

 

Authentisch kann nur sein, was von uns verstanden wird – in diesem Fall als Verständnis auch für die Intention Nono’s, den Canto auf Basis der Abschiedsbriefe zu schreiben. Es geht also um mehr als um die rein klangliche musikalische Oberfläche und die Organisation eines Klangereignisses für einen puristisch zu verstehenden Klanggenuss.

 

Wir können die Bedingungen und Ursachen, aus denen unsere Zeitgeschichte gemacht ist, nicht ausblenden. Die Partitur eine Komponisten ist nicht ein unveränderliches Konstrukt lediglich mit Hinweisen zur Interpretation und zum Klangerlebnis.

 

Es geht um kritische Positionen der Künste und damit der Künstler zu Geschichte, Politik und Globalität. In diesem Kontext haben wir immer einen Gegenwartsbezug.

 

Unsere Zeit ist gleichsam kontaminiert durch die Vergangenheit.

 

Die Entwicklung des Projektes selber ist eine Folge von bewusster Partizipation unter den Akteuren, die die Initiative und das Netzwerk angestoßen haben, und vor allem auch ein Spiegel für wechselseitigen Respekt.

 

Es gibt so etwas wie eine Gefahr der Banalität, die sich in die Beurteilung der Zeitgeschichte einschleicht. Wir meinen nicht die Banalität im Sinne, dass Erklärungen oft sehr einfach sind, also banal, und offenkundig zugeordnet werden können. Wir meinen die Banalität, die sich im Sinne eines selbstverständlichen Dazugehörens breit machen kann, um Vorgänge nicht weiter zu erörtern zu müssen. Eine solche Haltung führt leicht zu Ansichten, der Mensch sei so, wie er sei, und eben auch böse – gleichsam mit einer natürlichen Textur des Bösen behaftet. Wenn das Böse in dieser Weise erklärt wird, wird es fatal im eigentlichen Wortsinn und gefährlich, weil die Schärfe der Sicht in der intellektuellen und emotionalen Auseinander-setzung schwindet.

 

Wir sagen nicht, die Umsetzung der Ziele des Nonoprojekts sei der einzige und optimale Weg, sich mit dem Nationalsozialismus und Faschismus auseinander zu setzen. Es gibt viele Wege, emotional und intellektuell zu dem Thema Shoah Zugang zu finden. Wir meinen nur, dass der Weg nicht ganz falsch ist, Impulse des Projekts und der Videoarbeit mit Claudio Abbado an Luigi Nono’ Il canto sospeso zu nutzen. Dies zeigt jedenfalls die Erfahrung, dass der Einstieg über die Filmproduktion Il canto sospeso helfen kann.

 

An der Oberfläche mag der Eindruck entstehen, dass mit dem Projekt ein zu hoher Level und ein Cluster von didaktischen Problemen zugemutet wird, der nicht aufgelöst werden kann. Das Gegenteil ist der Fall, wie die bisherigen Ergebnisse zeigen. Gerade durch die Vielfalt der Facetten des Projekts ist eine Offenheit in der Umsetzung gewährleistet, die die Freiheit der Partizipation durch Schüler und Lehrer lässt, eigene Wege zu finden.

 

Es ist wichtig, Vertrauen aufzubauen und die Beteiligten auch gleichsam ins Vertrauen zu ziehen, wie die Initiatoren selber Vertrauen in der Zusammenarbeit mit Claudio Abbado und den anderen Künstlern auf menschliche Weise erfahren haben. Nur weil wir von Abbado selber lernen konnten, wie er Projekte angeht und entwickelt, war die positive Basis der Arbeit an dem Projekt und dem Netzwerk möglich. Von dieser Offenheit möchten wir an junge Menschen und an Lehrer, denen diese Jugendlichen anvertraut sind, unsere Erfahrungen weiterreichen.

 

Was das Eklatante an dem Totalitarismus der nationalsozialistischen Machthaber zu sein scheint, ist die Skrupellosigkeit, mit der die Nationalsozialisten und ihre Mitläufer in allen gesellschaftlichen Bereichen ein System aufgebaut haben, Kulturen und zivile Strukturen zu zerstören und Menschen zu korrumpieren. Die Installierung des Bösen im globalen Maßstab ist kaum nachvollziehbar – aber sie war real.